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Anwalt, halte die beA-PIN geheim!

Das Arbeitsgericht Lübeck (19.06.2019, Az. 6 Ca 679/19) wies im Sommer 2019 einen Rechtsanwalt darauf hin, dass die Einreichung eines nur einfach signierten PDF-Schriftsatzes (z.B. mit dem wiedergegebenen Namenszug am Schriftsatzende) über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) nur dann wirksam ist, wenn der einfach signierende Rechtsanwalt auch der Inhaber des beA-Postfaches ist und die beA-Nachricht auch selbst versendet hat.

Die Weitergabe der zum beA gehörenden PIN kompromittiere das betroffene beA. Dies sei sodann kein sicherer Übermittlungsweg mehr (nach § 46c Abs. 3, Abs. 4 Nr. 2 ArbGG bzw. nach § 130a Abs. 3, Abs. 4 Nr. 2 ZPO). Anschließend daraus versandte Schriftsätze seien allesamt prozessual unwirksam. Jedenfalls bei Anwaltsprozessen und jedenfalls bis zu einer PIN-Änderung.

Den Volltext der Hinweis-Verfügung finden Sie hier.

1. Zusammenfassung

Das Arbeitsgericht erteilte an die Parteien (und insbesondere an den Beklagtenvertreter) durch eine Verfügung einen Hinweis.

Ein Schriftsatz der ohne qualifizierte Signatur über das beA an ein Gericht versandt wird, ist nur wirksam, wenn

1.    der Inhaber des beA-Postfaches,
2.    der Rechtsanwalt, der den Schriftsatz einfach signiert, und
3.    der Versender der beA-Nachricht mit diesem einfach signierten Schriftsatz

dieselbe Person ist. Wird ein solcher, einfach signierter Schriftsatz hingegen aus einem fremden beA versandt, ist der Schriftsatz nach den Regeln der Prozessordnung in der ZPO unwirksam. Dies hat zur Folge, dass der so versandte Schriftsatz auch keine Fristen wahrt.

Die Weitergabe der beA-PIN an einen Dritten – ob Rechtsanwalt, Rechtsanwaltsfachangestellte, Sekretärin etc. – führe dazu, dass eine sichere Übermittlung aus diesem beA nicht mehr möglich ist. Ohne die sichere Übermittlung sei aber die Übermittlung von einfach signierten Schriftsätzen aus dem beA zivilprozessual unwirksam. Bis zur PIN-Änderung ist damit eine wirksame Einreichung von jeglichen Schriftsätzen an ein Gericht aus diesem beA heraus ausgeschlossen.

2. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts Lübeck

a) Sachverhalt

In einem erstinstanzlichen Kündigungsprozess setzte das Arbeitsgericht Lübeck der Beklagten eine Schriftsatzfrist bis zum 12.06.2019.

Am 12.06.2019 ging beim Arbeitsgericht ein Schriftsatz der Beklagten „vorab per beA“ ein. Versandt wurde der Schriftsatz aus dem beA des Prozessbevollmächtigten der Beklagten, Herrn Rechtsanwalt A. Der Schriftsatz war nicht qualifiziert signiert, sondern nur einfach signiert. Unterzeichnet war der Schriftsatz mit de Vertreterzusatz:

„Rechtsanwalt A.
in seiner Abwesenheit unterzeichnet von
[Unterschrift der Rechtsanwältin B.]
Rechtsanwältin B.“

Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten, Herr Rechtsanwalt A., war am 12.06.2019 nämlich im Urlaub. Frau Rechtsanwältin B. sollte ihn vertreten.

Durch Verfügung vom 12.09.2019 wies das Gericht die Beklagte darauf hin, dass der Schriftsatz „vorab per beA“ unwirksam sei. Der Schriftsatz wurde per beA eingereicht. Dies erfolgte aus dem beA von Herrn Rechtsanwalt A. Die Namenswiedergabe und die Unterschrift unter dem Schriftsatz lauten jedoch auf Frau Rechtsanwältin B. Damit seit Rechtsanwältin B. für diesen einfach signierten Schriftsatz verantwortlich. Die Übersendung aus dem beA von Herrn Rechtsanwalt A. sei daher unwirksam gewesen und wohl auch nicht von ihm veranlasst.

Telefonisch teilte Herr Rechtsanwalt A. dem Gericht mit, dass er Frau Rechtsanwältin B. seine beA-PIN überlassen hatte. Frau Rechtsanwältin B. habe dann – nach Freigabe des Schriftsatzes durch die Beklagte und auf Weisung von Herrn Rechtsanwalt A. aus dem beA von Herrn Rechtsanwalt A. den Schriftsatz versandt. Daher sei die Übermittlung auf Veranlassung von Herrn Rechtsanwalt A. erfolgt.

Am 13.06.2019 ging das Original des Schriftsatzes mit der Unterschrift von Frau Rechtsanwältin B. ein, einige Tage später eine neue Fassung des einfach signierten Schriftsatzes aus dem beA von Herrn Rechtsanwalt A.

b) Hinweis des Gerichts

Das Arbeitsgericht wies die Beklagte und Herrn Rechtsanwalt A. darauf hin, dass der Schriftsatz vom 12.06.2019 nicht rechtzeitig eingegangen sei.

Die Schriftsatzfassung per beA am 12.06.2019 sei prozessual unwirksam, weil die Form des § 46c Abs. 3 ArbGG (entspricht § 130a Abs. 3 ZPO) nicht gewahrt sei. Der Schriftsatz war nicht qualifiziert elektronisch signiert (qeS); dann würde es keine Rolle spielen, aus welchem beA heraus er das Gericht erreichte. Der einfach signierte Schriftsatz müsse elektronisch auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden. Hierzu müsse ein solcher Schriftsatz aus dem beA des einfach signierenden Rechtsanwalts und von diesem Rechtsanwalt selbst versendet werden.

Zudem führe die Weitergabe der beA-PIN dazu, dass eine sichere Übermittlung nach § 46c Abs. 3, Abs. 4 Nr. 2 ArbGG ausgeschlossen sei. Das Gericht schließt aus der Gesamtbetrachtung der Verordnung über die Rechtsanwaltsverzeichnisse und die besonderen elektronischen Anwaltspostfächer (RAVPV), insbesondere aus §§ 20, 23, 26 RAVPV, dass die sichere Übermittlung nur möglich sei, wenn und solange die beA-PIN keinem Dritten bekannt ist.

3. Unsere Anmerkung

Der Hinweis des ArbG Lübeck entspricht hinsichtlich der notwendigen Personenidentität zwischen dem Unterzeichner der einfachen Signatur, dem beA-Inhaber und dem beA-Nachricht-Versender der herrschenden Auffassung in der Literatur und in der bisherigen Rechtsprechung.

Das Gericht betritt jedoch auch rechtliches Neuland: Es ist der Rechtsauffassung, dass die PIN-Weitergabe das beA kompromittiert, das beA dadurch prozessual „unsicher“ macht, sodass es sodann rechtlich nicht möglich sei, aus einem solchen beA heraus einfach signierte Schriftsätze bei Gericht einzureichen. Bisher galt die Weitergabe der beA-PIN lediglich als (berufsrechtlicher) Verstoß. Ist die Rechtsauffassung des Gerichts richtig, dann ist die Weitergabe der beA-PIN (oder wie die BRAK es umschreibt, das „Teilen“) „Kunstfehler“ gegenüber dem Mandanten und damit ein Haftungsfall.

a) Die dreifache Personenidentität

Soweit das Gericht eine Personenidentität zwischen dem einfach Signierenden und dem beA-Inhaber sowie dem beA-Versender verlangt, entspricht dies der vom Gericht zitierten Gesetzesbegründung, der in der Literatur stark vorherrschenden Meinung (Leuering, NJW 2019, 2739 m.w.N.) und den ersten Entscheidungen der Rechtsprechung (etwa OLG Braunschweig, NJW 2019, 2176).

Diese Auffassung hat sich bisher durchgesetzt, obwohl im Wortlaut des § 130a Abs. 3 ZPO bzw. des wortgleichen § 46c Abs. 3 ArbGG eine Personenidentität nicht ausdrücklich enthalten ist. Dort heißt es insoweit auszugsweise: „Das elektronische Dokument muss [...] von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden.“ Die Auffassung kann sich jedoch auf die eindeutige, vom Gericht zitierte Gesetzesbegründung berufen.

Man kann dies in Hinblick auf den Zweck der einschlägigen Normen aber auch anders sehen (vgl. Schmieder/Liedy, NJW 2018, 1640, 1643 f.). Der vorrangige Gesetzeszweck für die Einführung der Normen war die Vereinfachung und Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs durch Verringerung der Signaturerfordernisse (Schmieder/Liedy, NJW 2018, 1640, 1643 f.). Die verlangte Personenidentität erschwert den Versand über beA gegenüber dem Vorabversand per Telefax. Die Telefaxkopie ist – in entsprechender Wertung des § 130a ZPO – nicht qualifiziert unterschrieben (Schriftform), sondern trägt lediglich eine einfache Wiedergabe der Unterschrift/Signatur. Niemand verlangt jedoch vom unterzeichnenden Rechtsanwalt, das Telefax selbst zu bedienen oder gar ein eigenes Telefaxgerät zu nutzen: Der Rechtsanwalt kann auch eine andere Person von einem fremden Telefaxgerät die Telefaxkopie versenden. Warum sollte in der digitalen Welt dann mehr verlangt werden?

Jedoch hat sich die Meinung des Arbeitsgerichts in der Literatur und Rechtsprechung durchgesetzt. Es wäre mehr als fahrlässig und ein anwaltlicher „Kunstfehler“, in der anwaltlichen Praxis die geforderte Personenidentität zu missachten.

b) Weitergabe der beA-PIN verhindert künftige wirksame Einreichung von Schriftsätzen

Das Gericht betritt mit der zweiten Hälfte des Hinweises rechtliches Neuland: Es ist die erste Entscheidung eines Gerichts, nach der die Weitergabe der beA-PIN dazu führt, dass sämtliche einfach signierte Schriftsätze aus dem betroffenen beA nach § 130a Abs. 3 ZPO bzw. nach § 46c Abs. 3 ArbGG nicht mehr wirksam eingereicht werden können.

Seine Rechtsauffassung begründet das Gericht nur sehr kurz. Bisher ist eine solche Meinung von der einschlägigen Literatur oder veröffentlichen Rechtsprechung nicht vertreten worden. Die Auffassung ist nicht abwegig, man kann aber auch anderer Rechtsauffassung sein.

aa) Rechtsauffassung ergibt sich nicht aus dem Wortlaut

Die Auffassung des Gerichts ergibt sich nicht zwingend aus den angeführten Normen der Rechtsanwaltsverzeichnis- und -postfachverordnung (RAVPV) und aus § 130a Abs. 3 ZPO bzw. aus § 46c Abs. 3 ArbGG.

§ 130a Abs. 3 ZPO bzw. § 46c Abs. 3 ArbGG definieren lediglich, dass das beA ein sicherer Übermittlungsweg ist und zusammen mit einer einfachen Signatur die für Schriftsätze im Bereich beider Prozessordnungen nötige Form wahrt.

Auch aus den Normen der RAVPV folgt der Schluss des Gerichts nicht zwingend. Die RAVPV ist lediglich eine Verordnung und kein (Parlaments-)Gesetz. Es ist schon nicht rechtlich sicher, ob die Verordnungsermächtigung in § 31c BRAO überhaupt zu einer Verordnung ermächtigt, welche Konsequenzen einer PIN-Weitergabe zur Folge hat: Nach § 31c Nr. 3 BRAO besteht die Verordnungsermächtigung nur für Einzelheiten der besonderen elektronischen Anwaltspostfächer, insbesondere über

a) ihre Einrichtung,
b) ihre technische Ausgestaltung,
c) ihre Führung,
d) die Zugangsberechtigung und Nutzung,
e) das Löschen von Nachrichten und
f) über die beA-Löschung.

Die Rechtswirkung der Verwendung des beA im Prozess richtet sich aber nach der Gesetzessystematik nach der jeweiligen Prozessordnung, hier nach dem Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG).

bb) „Sicherheit“ des beA kompromittiert bzw. widerlegt

Zuzustimmen ist dem Gericht aber darin, dass mit der PIN-Weitergabe faktisch-technisch die sichere Übermittlung zwischen einem bestimmten Rechtsanwalt und dem Gericht hinsichtlich der an der Kommunikation beteiligten Personen nicht mehr gewährleistet ist. Dies wirkt sich – wie das Gericht betont – jedenfalls in Anwaltsprozessen aus. Durch die PIN-Weitergabe ist nicht mehr sichergestellt, ob der über beA übermittelte einfach signierte Schriftsatz von einem Rechtsanwalt oder einem Dritten, dessen Vortrag im Anwaltsprozess mangels Postulationsfähigkeit zu ignorieren ist, stammt.

Genau das aber sollten die Regelungen zum „sicheren Übermittlungsweg“ in § 130a Abs. 3 ZPO bzw. § 46c Abs. 3 ArbGG sicherstellen. Dem Gesetzgeber ging es nicht um die „technische Sicherheit“ z.B. bspw. gegenüber Hacker-Angriffen oder eine besondere Ausfallsicherheit. Vielmehr ging es um de Authentizität und damit darum, sicherzustellen, dass die bei Gericht eingegangene Nachricht auch „sicher“ vom Postfachinhaber stammt.

cc) Unüberschaubare Rechtsunsicherheit

Schließlich führt die Auffassung des Arbeitsgerichtes zu einer Vielzahl von Rechtsunsicherheiten. Nicht ansatzweise geklärt sind nun folgende Rechtsfragen:

Erlangt ein Dritter ohne Wissen und Wollen des beA-Inhabers die beA-PIN, würde der beA-Inhaber tatsächlich ab diesem, ihm nicht bekannten Zeitpunkt nur noch prozessual unwirksame Schriftsätze bei Gericht einreichen, selbst wenn bei diesen Schriftsätzen die oben dargestellte dreifache Personenidentität bei den einzelnen Schriftsätzen vorliegt?

Wie muss sich der beA-Inhaber in laufenden Prozessen verhalten, wenn er von einer solchen Kompromittierung und von deren Zeitpunkt erfährt, außer der Änderung der PIN? Muss der Rechtsanwalt tatsächlich hinsichtlich aller seiner fristgebundenen Schriftsätze prozessuale Maßnahmen ergreifen, wie z.B. Wiedereinsetzungsanträge stellen?

c) Kein Rechtmittel, Berufspflichtverletzung und Anwaltshaftung

Der Hinweis des Arbeitsgerichts ist selbst nicht rechtskraftfähig und nicht rechtsmittelfähig. Er kann also von einer zweiten Instanz nicht unmittelbar überprüft werden. Auch zu einer mittelbaren Überprüfung dürfte es nicht kommen, weil der Originalschriftsatz am nächsten Tag nach Fristablauf einging. Prozessuale Nachteile dürfte es hier nicht geben, was auch das Arbeitsgericht in der Verfügung andeutete.
Der Hinweis des Gerichts, die Angelegenheit der Rechtsanwaltskammer zu melden, könnte für Herrn Rechtsanwalt A. unangenehme Konsequenzen haben. Nach §§ 113, 114 BRAO können gegen Rechtsanwälte anwaltsgerichtliche Maßnahmen verhängt werden, wenn diese schuldhaft gegen ihre berufsrechtlichen Pflichten verstoßen. § 31c Nr. 3 BRAO i.V.m. § 26 Abs. 1 RAVPV stellen Berufspflichten dar, die beA-PIN nicht weiterzugeben. Hiergegen dürfte der Kollege verstoßen haben. Auch ist er seiner Pflicht wohl nicht nachgekommen, unverzüglich erforderliche Maßnahmen zu ergreifen, um einen unbefugten Zugriff auf das beA zu verhindern (§ 26 Abs. 2 RAVPV). Die Rechtsanwaltskammer dürfte Maßnahmen ergreifen, wie eine Rüge.
Geht ein Prozess wegen der Verspätung verloren gehen, droht Herrn Rechtsanwalt A. zudem eine Schadenersatzforderung des Mandanten. Herr Rechtsanwalt A. ließ eine gerichtliche Frist verstreichen und hat damit gegen seine Pflichten aus dem Mandatsverhältnis verstoßen. Wenn dies auch noch zum Schaden führt, entsteht ein typischer Fall der Rechtsanwaltshaftung.

d) Fazit: Dreifache Personenidentität beachten und beA-PIN schützen

Schon wegen der berufsrechtlichen Pflicht, den sichersten Weg zu gehen, kann jedem Rechtsanwalt nur geraten werden, die Verfügung zu beachten und die Kanzleiabläufe daran anzupassen.

Entweder signiert der Rechtsanwalt selbst qualifiziert elektronisch (qeS) seine beA-Schriftsätze oder aber er stellt die dreifache Personenidentität zwischen einfacher Signatur, dem beA-Inhaber und dem Versender der beA-Nachricht durch geeignete Organisationsmaßnahmen sicher.

Sollte der Hinweis auch bei anderen Gerichten Schule machen, wäre dies ein sehr wirkungsvolles Instrument, um die Einhaltung der Rechtsanwaltspflichten nach § 26 RAVPV durchzusetzen.

Unabhängig der Auffassung des Gerichts hinsichtlich der prozessualen Folgen der Weitergabe der beA-PIN ist die Weitergabe jedenfalls berufsrechtlich verboten. Das Gebot für alle Rechtsanwälte ist daher: Anwalt, halte die beA-PIN geheim!