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Neue BAG-Rechtsprechung zu "geldwerten" Urlaubsansprüchen nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit

Urlaubsansprüche sind „geldwert“, wenn der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Beschäftigten (Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer) zur Arbeit heranzieht: BAG, Beschluss vom 16.02.2021, Az. 9 AS 1/21

Wird der Arbeitgeber insolvent, entstehen für die Arbeitnehmer neben den Sorgen auch viele Fragen.

  • Welche Forderungen der Beschäftigten sind sogenannte „Insolvenzforderungen“, die am Ende des Verfahrens nur mit einer (meist sehr geringen) Quote befriedigt werden?
  • Welche Forderungen der Beschäftigten sind sogenannte „Masseforderungen“, die der Insolvenzverwalter voll bezahlen muss?
  • Mit welchen Zahlungen können Beschäftigte überhaupt noch rechnen, wie hoch wird eine Quote am Ende des Insolvenzverfahrens ausfallen?

Besonders prekär wird die Situation, wenn der Insolvenzschuldner auch noch die Masseunzulänglichkeit angezeigt hat (§ 208 InsO - LINK) – also wenn die Insolvenzmasse nicht einmal mehr ausreicht, um die Masseverbindlichkeiten (v.a. Gerichtskosten und Vergütung des Insolvenzverwalters nach § 54 InsO - LINK) zu erfüllen. Zieht der Insolvenzverwalter nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Beschäftigten zur Arbeit heran:

  • Wie sieht es dann mit dem Urlaub nach der Anzeige der Masseunzulänglichkeit aus oder mit den Urlaubsabgeltungsansprüchen?

Grundsätzlich muss der Insolvenzverwalter Urlaubsansprüche als sogenannte Masseverbindlichkeiten erfüllen – aber wie sieht es im Fall der Masseunzulänglichkeit aus? Der 9. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 21.11.2006, Az. 9 AZR 97/06) sah die Urlaubsfrage im Fall der Masseunzulänglichkeit bisher so:

Der Urlaub (also die tatsächliche Freistellung von der Arbeit) sei zwar zu gewähren, für das Urlaubsentgelt (also die Bezahlung in der Zeit der urlaubsbedingten Freistellung) und die Urlaubsabgeltung („Ausbezahlung“ des Urlaubs am Ende des Arbeitsverhältnisses) gelte aber etwas Anderes: Hier müsse man schauen, welcher Anteil des Urlaubs rechnerisch auf die Zeit entfällt, in der der Insolvenzverwalter die Beschäftigten nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zur Arbeit herangezogen hat. Maßgeblich hierfür sei das Verhältnis der möglichen Arbeitstage im Jahr zu den von Beschäftigten nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit geleisteten Arbeitstagen. Nur insoweit sei der Urlaub „geldwert“ – ansonsten bestehe zwar ein Freistellungsanspruch, aber eben kein Vergütungsanspruch. Das Bundesarbeitsgericht trennte den Urlaub damit auf und zerteilte ihn in Freistellung und Vergütung bzw. Abgeltung.
    
Der 6. Senat wollte von dieser Rechtsprechung abweichen und hatte daher beim 9. Senat des Bundesarbeitsgerichts (im Verfahren: Az. 6 AZR 94/19) angefragt, ob dieser an seiner Rechtsprechung festhalte.

Der 9. Senat des Bundesarbeitsgerichts hält an seiner Rechtsprechung nun nicht weiter fest (BAG, Beschluss vom 16.02.2021, Az. 9 AS 1/21 - LINK). Nimmt also der starke vorläufige Insolvenzverwalter oder der Insolvenzverwalter nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit die Arbeitsleistung der Beschäftigten in Anspruch, sind die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Urlaubsvergütung und auf Abgeltung des Urlaubs uneingeschränkt als Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 Satz 2 InsO - LINK) bzw. als Neumasseverbindlichkeiten (§ 209 Abs. 2 Nr. 3 InsO - LINK) zu berücksichtigen, wenn der Urlaub innerhalb dieses Zeitraums gewährt wird bzw. unmittelbar im Anschluss hieran das Arbeitsverhältnis endet (BAG a.a.O., Leitsatz, sowie Rdnr. 3).

Neben den insolvenzrechtlichen Ausführungen führte das Bundesarbeitsgericht in der Begründung aus, dass § 1 BUrlG (LINK) in richtlinienkonformer Auslegung im bestehenden Arbeitsverhältnis eine Aufspaltung des Anspruchs auf bezahlten Erholungsurlaub in einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeitspflicht und die mit dem Urlaub verbundenen Geldansprüche nicht zulasse (BAG a.a.O. Rdnr. 10). Außerdem entstehe der Anspruch auf gesetzlichen Mindesturlaub nach §§ 1, 3 Abs. 1, § 4 BUrlG (LINK), nicht für eine in einem bestimmten Zeitraum erbrachte Arbeitsleistung, sondern - als einheitlicher Anspruch - für das Kalenderjahr als Urlaubsjahr (BAG a.a.O. Rdnr. 17). Er stehe nicht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht hat (BAG a.a.O. Rdnr. 18). Weiterhin seien die Ansprüche auf Urlaubsvergütung und Urlaubsabgeltung, solange die Urlaubstage nicht zeitlich festgelegt seien bzw. das Arbeitsverhältnis nicht beendet sei, nicht „für“ einen bestimmten Zeitraum geschuldet. Sie können infolgedessen keinem bestimmten Zeitabschnitt vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugeordnet werden (BAG a.a.O. Rdnr. 19).

Diese Rechtsprechungsänderung ist auch eine weitere Konsequenz der Aufgabe des sogenannten „Trennungsprinzips“. Der 9. Senat hatte die strikte Trennung von der Befreiung von der Arbeitspflicht und der Fortzahlung der vertraglichen Vergütung in den letzten Jahren bereits aufgegeben (BAG, Urteil vom 10.02.2015, Az. 9 AZR 455/13).

Ausblick: Interessant wird sein, ob diese Rechtsprechungsänderung eine größere Zurückhaltung der Insolvenzverwalter beim Einsatz von Beschäftigten nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit zur Folge haben wird.