Anwendbarkeit des BFSG
Das BFSG unterscheidet zunächst bei der Anwendbarkeit in § 1 Abs. 2 und Abs. 3 des Gestzes, ob es sich bei der durch den Unternehmer angebotenen Leistung, um ein Produkt oder eine Dienstleistung im Sinne des BFSG handelt. Grundsätzlich kann an dieser Stelle bereits angemerkt werden, dass der Anwendungsbereich weitestgehend durch Unternehmer-Verbraucher-Geschäfte (sog. B2C-Geschäfte – business-to-consumer) dominiert wird. Zentrales Ziel des BFSG ist die Gewährleistung, dass Produkte und Dienstleistungen für Verbraucher – insbesondere online – barrierefrei angeboten werden.
Anwendbarkeit des BFSG beim Vertrieb von Produkten
Das BFSG definiert zunächst einen klaren Anwendungsbereich, soweit es um das in den Verkehr bringen von Produkten geht.
Als Produkte definiert das BFSG ein Stoff, eine Zubereitung oder eine gefertigte Ware. Weitestgehend ausgenommen von dem Produktbegriff des BFSG sind Erzeugnisse menschlichen Ursprungs und tierische Erzeugnisse so zum Beispiel: Lebensmittel, Futtermittel, lebende Pflanzen und Tiere.
Umfasst sind u.a.:
- Hardwaresysteme für Universalrechner für Verbraucher, also PC’s, Laptops, Tablets und ähnliche Geräte, sowie deren Betriebssysteme
- Selbstbedienungsterminal, wie Geldautomaten, Fahrkartenautomaten, Check-In-Automaten und interaktive Informationstafeln
- Smartphones, „smarte“ Festnetztelefone und andere Geräte die zur Telekommunikation benutzt werden können
- E-Book Reader (Lesegeräte)
Anwendbarkeit des BFSG auf Dienstleistungen
Neben den bereits benannten Produkten findet das BFSG auch Anwendung, wenn gegenüber Verbrauchern bestimmte Dienstleistungen angeboten und erbracht werden.
Dabei sind die Dienstleistungen die in den Anwendungsbereich des BFSG fallen weitestgehend spiegelbildlich zu den umfassten Produkten. Umfasst sind etwa:
- Telekommunikationsdienste
- Bankdienstleistungen für Verbraucher
- E-Books und die hierfür bestimmte Software
- darüber hinaus digitale Angebote von Personenbeförderungsdiensten
Genauer zu betrachten sind die in § 2 Abs. 3 Nr. 5 BFSG erwähnten:
Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr
Im Gegensatz zu den im Übrigen sehr speziell definierten Dienstleistungen erweitert diese Formulierung den Anwendungsbereich des BFSG enorm.
Was sind „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“ im Sinne des BFSG?
Zunächst dürfte zu sagen sein, dass die Eingrenzung und Definition zum derzeitigen Zeitpunkt einzig anhand der Gesetzesbegründung des BFSG, der Gesetzesbegründung des European Accessibility Act (diejenige europäischen Richtlinie, die das BFSG umsetzt) und einiger Stimmen in der juristischen Literatur vorgenommen werden kann. Einschlägige Rechtsprechung existiert bisher noch nicht. Daher erfolgt eine Darstellung des derzeitigen Stands (20. Juni 2025).
Maßgeblich ist, dass eine Leistung im elektronischen Geschäftsverkehr angeboten wird, also ein Vertrag (oder auch Vorvertrag) auf Anfrage eines Verbrauchers mittels technischen Mitteln ohne gleichzeitige Anwesenheit der Vertragsparteien zustande kommen kann.
Dienstleistung im Sinne des BFSG
Zunächst dürfte herauszustellen sein, dass der Dienstleistungsbegriff im BFSG sich von dem des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) unterscheidet. Eine Dienstleistung im Sinne des BFSG ist demnach nach nicht etwa nur ein Tätigwerden und die Erbringung eines Dienstes. Vielmehr gilt folgendes:
- Das BFSG definiert die Dienstleistung indem es auf Art. 4 Nr. 1 der europäischen Richtlinie über Dienstleistungen im Binnenmarkt verweist (RiLi 2006/123/EG vom 12.12.2006) wie folgt: „Dienstleistung ist jede von Artikel 50 des Vertrages (AEUV) erfasse selbstständige Tätigkeit, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird“.
- Art. 50 AEUV definiert dabei die Dienstleistung wie folgt: „Dienstleistungen [...] sind Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden [...]. Als Dienstleistungen gelten insbesondere: gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche, freiberufliche Tätigkeiten.“
Insbesondere durch die Bezugnahme auf Art. 50 AEUV wird angedeutet, dass unter den Dienstleistungsbegriff auch kaufmännische Leistungen fallen, also Leistungen die im Lichte des BGB zunächst nicht unter den Begriff Dienstleistung, sondern Kauf fallen würden. Es deutet sich also an, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift weit gefasst ist.
Unterstrichen wird dies durch die Gesetzesbegründung zum BFSG in der es zu § 2 Abs. 3 Nr. 5 BFSG wörtlich heißt: „Die Barrierefreiheitsanforderungen an Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr gelten für den Online-Verkauf jeglicher Produkte oder Dienstleistungen [...] Daneben fallen auch jene Dienstleistungen in den Anwendungsbereich, die über Webseiten oder mobile Anwendungen in Hinblick auf den Abschluss eines Verbrauchervertrages erbracht werden“ (BT-Drucksache 19/28653 S. 65).
Als Merkformel wird zum Teil in der Literatur der Anwendungsbereich wie folgt zusammengefasst (so Kapoor/Klindt in NJW 2024, 3547):
Hat die Webpage einen Warenkorb für Verbraucher, ist sie in jedem Fall erfasst.
Es deutet sich also an, dass jeder Webshop oder Onlineshop Betreiber seine Website barrierefrei gestalten muss, sofern sich diese an Verbraucher richtet.
Für wen das BFSG nicht gilt
Wie dargestellt, hat das BFSG einen sehr weiten Anwendungsbereich. Doch das BFSG sieht auch einige Ausnahmen vor:
- Kleinstunternehmen, welche weniger als 10 Beschäftigte haben und deren Jahresumsatz oder Bilanzsumme zwei Millionen Euro nicht übersteigt
- aufgezeichnete zeitbasierte Medien, die vor dem 28. Juni 2025 veröffentlicht wurden
- Dateiformate von Büro-Anwendungen, die vor dem 28. Juni 2025 veröffentlicht wurden
- Inhalte von Internetseiten und mobilen Anwendungen, die als Archive gelten, wenn ihre Inhalte nach dem 28. Juni 2025 weder aktualisiert noch überarbeitet werden
Weiteres hierzu finden Sie in unserem Artikel „Der European Accessibility Act (EEA) und das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG): Weniger Barrieren und neue Märkte“ von unserem Partner RA Pusep vom 31.05.2024.