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BGH: Eine elektronische Lesebestätigung als (einziger) Nachweis für E-Mail-Versand!

Der BGH (Az. I ZR 125/21) lehnte durch Beschluss einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO ab. Der BGH-Senat meint, zur wirksamen Ausgangskontrolle bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes bzw. Hinweises auf eine ablaufende Frist per E-Mail müsse der Anwalt die Option „Lesebestätigung“ aktivieren. Nur dann, wenn die Lesebestätigung bestätigt „zurückkommt“, sind die anwaltlichen Pflichten erfüllt.

Den Volltext des Beschlusses finden Sie hier.

Sachverhalt

Im Verfahren stritten die Parteien in einer wettbewerbsrechtlichen Auseinandersetzung. Nachdem die Klage in erster Instanz überwiegend erfolgreich war, ging der Kläger in Berufung und erreichte das vollständige Obsiegen in der zweiten Instanz. Das Berufungsurteil ist den Prozessbevollmächtigten der Parteien am 30.06.2021 zugegangen. Die Revisionsfrist endete mithin am 30.07.2021. Erst am 23.08.2021 ging beim BGH die Revisionsschrift der Beklagten ein, verbunden mit dem Antrag auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Revisionsfrist.

Die Beklagte machte geltend, die Fristversäumung beruhe auf einem elektronischen Fehler in ihrem E-Mailsystem. Ihre Prozessbevollmächtigten hätten ihr in mehreren Schreiben und E-Mails die Einlegung der Revision empfohlen. Sowohl die Schreiben als auch die E-Mails seien bei ihr eingegangen und zur Kenntnis des für die Entscheidung über die Einlegung des Rechtsmittels zuständigen Prokuristen gelangt. Noch am 29.07.2021 habe der zuständige Prokurist eine E-Mail mit der Anweisung das Rechtsmittel einzulegen an den Rechtsanwalt versendet. Die kam allerdings nicht an. Es sei zu vermuten, dass es zu technischen Problemen im E-Mailsystem der Beklagten gekommen sei.

Auch der Prozessbevollmächtigte schickte am 30.07.2021 erneut eine E-Mail an die Mandantin (= Beklagte), mit der auf die am selben Tag ablaufende Revisionsfrist hingewiesen worden sei. Ganz offensichtlich sei diese E-Mail aufgrund eines nicht aufzuklärenden technischen Fehlers bei der Mandantin (= Beklagten) nicht eingegangen.

Die Beklagte macht geltend, das Fristversäumnis sei daher unverschuldet.

Rechtliche Würdigung des BGH

Die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand richtet sich nach § 233 ZPO und kann erfolgen, wenn das Versäumnis nicht verschuldet war. Der BGH sah im Vorbringungen der Beklagten keine Darlegung einer unverschuldeten Fristversäumnis (vgl. BGH, Beschluss vom 18.11.2021, Az. I ZR 125/21, Rdnr. 8). Erforderlich sei ein Vortragen von solchen Tatsachen, nach denen keine Möglichkeit offenbleibt, dass die Fristversäumnis von der Partei beziehungsweise ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet war (BGH, Beschluss vom 18.11.2021, Az. I ZR 125/21, Rdnr. 9). Einen solcher Vortrag habe die Beklagte nicht erbracht.

Verschulden der Partei selbst

Zum einen ergebe sich aus dem Vorbringen der Beklagten, dass ihre Prozessbevollmächtigten von der Frist Kenntnis hatten und vor dem Fristablauf keine Beauftragung für eine Revision vorgelegen habe. Die Beklagte habe nicht darlegen können, dass ihr Prokurist tatsächlich am 29.07.2021 eine Mail versandt habe, in der die Prozessbevollmächtigten mit der Revisionseinlegung beauftragt wurden. Der Prokurist machte nur glaubhaft, dass er „der festen Überzeugung sei, dass er eine solche Mail noch am 29.07.2021 abgeschickt habe“. Der BGH hob hervor, dass mit diesem einschränkenden, allein auf den Willen und die Überzeugung des Prokuristen abstellenden Vortrag und seiner entsprechend eingeschränkt abgefassten eidesstattlichen Versicherung nicht dargelegt und – beispielsweise durch einen Screenshot einer Sendebestätigung des E-Mailprogramms – glaubhaft gemacht sei, dass der Prokurist eine E-Mail mit dem Auftrag zur Revisionseinlegung tatsächlich versandt hat (BGH, Beschluss vom 18.11.2021, Az. I ZR 125/21, Rdnr. 12).

Verschulden des Rechtsbeistands

Zum anderen schlage auch das Vorbringen der Beklagten nicht durch, ihre Prozessbevollmächtigen hätten sie am 30.07.2021 nochmals auf die auslaufende Frist hinweisen wollen, der Hinweis sei ihr aufgrund technischer Störungen jedoch nicht zugegangen. Denn selbst wenn tatsächlich eine Störung des E-Mailsystem bestanden habe, läge dennoch „ein der Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten vor“, welches ebenfalls die Möglichkeit offenlasse, dass die Fristversäumnis verschuldet ist (BGH, Beschluss vom 18.11.2021, Az. I ZR 125/21, Rdnr.13). Denn

nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt ein Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle bei der Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax nur dann, wenn er anhand des Sendeprotokolls überprüft [...], ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist, weil mögliche Fehlerquellen nur so mit einem hohen Maß an Zuverlässigkeit ausgeschlossen werden können

(BGH, Beschluss vom 18.11.2021, Az. I ZR 125/21, Rdnr.14). Gleiches gelte entsprechend für die Übersendung einer E-Mail:

Um sicherzustellen, dass eine E-Mail den Adressaten erreicht hat, hat der Versender über die Optionsverwaltung eines E-Mailprogramms die Möglichkeit, eine Lesebestätigung anzufordern. [...] Nutzt ein Rechtsanwalt im Kanzleibetrieb die E-Mail-Korrespondenz, muss er die Kenntnisnahme empfangener Nachrichten durch die Anforderung einer Lesebestätigung sicherstellen (Rdnr. 14).

Eine solche Lesebestätigung sei durch die Prozessbevollmächtigten nicht angefordert worden, was ein der Beklagten zuzurechnendes Verschulden darstelle.

Hintergrund der Entscheidung

Bereits 2013 erließ der BGH zur Thematik Zugangsnachweis im E-Mailverkehr einen Beschluss (BGH, Beschluss vom 17.07.2013, Az. I ZR 64/13). Auch dort vertrat der BGH die Auffassung, dass der Versender durch Anfordern einer Lesebestätigung den Zugang der E-Mail sicherstellen müsse (BGH, Beschluss vom 17.07.2013, Az. I ZR 64/13, Rdnr. 11).

Ebenso urteilte jüngst auch das LAG Köln im Urteil vom 11.01.2022, Az. 4 Sa 315/21, dass eine Partei ihre bezüglich des Zugangs einer E-Mail beim Empfänger obliegenden Darlegungs- und Beweislast (§ 130 BGB) nicht nachkommt, wenn die Partei nach dem Versenden keine Meldung über die Unzustellbarkeit der E-Mail erhalte:

Um sicherzustellen, dass eine E-Mail den Adressaten erreicht habe, könne der Versender über die Optionsverwaltung eines E-Mail-Programms eine Lesebestätigung anfordern,

so dass LAG Köln. Neu ist die vom BGH im aktuellen Urteil vertretene Position also nicht.

Der Wortlaut vom BGH „eine Lesebestätigung anzufordern“ kann nur so verstanden werden, dass die bloße Aufforderung –entgegen des Wortlautes – aber gerade nicht genügt. Mit der Begründung vom BGH, dass der Rechtsanwalt mit der Lesebestätigung sicherzustellen hat, dass eine E-Mail den Adressaten erreicht hat, kann nur gemeint sein, dass er die Lesebestätigung anfordern und auch eine positive Antwort vom Empfänger erhalten muss. Mit der bloßen Aufforderung zur Lesebestätigung kann nämlich ein Zugang nicht sichergestellt werden.

Auch in der juristischen Literatur wird die Auffassung vertreten, dass bei Versendung von E-Mails zur Sicherstellung der Kenntnisnahme vom Anwalt eine Lesebestätigung angefordert werden müsse (Zöller-Greger, ZPO, 34. Aufl., Köln 2022, § 233 Rdnr. 23.16). Inwiefern diese Position überzeugt, ist kritisch zu hinterfragen. Zweifel an der aufgestellten Pflicht können aufkommen, wenn man den Vergleich zu anderen Kommunikationswegen, insbesondere zum Postversand und Telefax zieht.

Der BGH begründete die Pflicht zur Lesebestätigung jeweils mit dem Vergleich zum Telefax. Beim Telefax sieht der BGH es als ausreichend, wenn der Rechtsanwalt anhand des Sendeprotokolls prüft, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist (BGH, Beschluss vom 18.11.2021, Az. I ZR 125/21, so auch Zöller-Greger, ZPO, 34. Aufl., Köln 2022, § 233 Rn. 23.37). Er muss eine Bestätigung vom Empfänger gerade nicht einholen. Auch wenn das Telefax in der Praxis immer weiter an Bedeutung verliert, zeigt der Vergleich, dass im E-Mail-Verkehr wesentlich höhere Anforderungen an die Sorgfaltspflicht und an die Organisation von Anwälten gestellt werden. Das Telefax-Sendeprotokoll gibt nämlich gerade keine Gewähr dafür, dass dem Empfänger die Nachricht auch zugegangen; auch wird der Empfänger zu keiner aktiven Handlung genötigt. Bei einer E-Mail-Lesebestätigung muss der Empfänger allerdings den tatsächlichen Empfang und die Kenntnisnahme (LESE-Bestätigung) durch aktive Handlung quittieren.

Während es beim Telefax also ausreicht zu prüfen, ob das Telefax gesendet wurde, muss bei einer E-Mail die tatsächliche Kenntnisnahme sichergestellt werden. Würde man die Grundlagen des Telefaxes auf den E-Mail-Verkehr – richtig – übertragen, würde als Versandprüfung genügen, festzustellen, dass die E-Mail den eigenen Postausgang verlassen hat. Dies genügt dem BGH aber offensichtlich nicht.

Noch geringer werden die Sorgfaltspflichten bei der Versendung per Post gesehen. Es reiche aus, dass der Absender rechtzeitig einen entsprechend frankierten Brief zu Post gebe (HK-ZPO/Saegner, 3. Aufl., § 233 Rdnr. 47). Eine Nachforschungsfrist, ob der Brief beim Empfänger zugegangen ist, bedürfe es grundsätzlich nicht (Zöller-Greger, ZPO, 34. Aufl., Köln 2022, § 233 Rn. 23.28). Wiederum übertragen auf das Versenden einer E-Mail, würde es nach diesem Maßstab genügen, die E-Mail zu versenden und dabei sicherzugehen, dass die Internetverbindung besteht.

Wie sich diese unterschiedlichen Sorgfaltsmaßstäbe rechtfertigen, ist nicht ersichtlich und ergibt sich nicht aus der aktuellen BGH-Entscheidung. Auf allen drei Versendungswegen besteht letztlich ein (Rest-)Risiko, dass die Nachricht nicht zugeht. Nur bei der E-Mail muss aber der Rechtsbeistand nach dem BGH eine Lesebestätigung anfordern, also sich den Erhalt (und das Lesen) vom Empfänger bestätigen lassen. Bei einem Telefax oder Brief ist eine solche Nachforschungspflicht nur unter besonderen Umständen gefordert, u.a., wenn mit einer Antwort gerechnet werden musste. Eine solche Nachforschungspflicht per se für jede E-Mail zu fordern, erscheint nicht angemessen und hindert auch den elektronischen Geschäftsverkehr und den elektronischen Rechtsverkehr. Praxisnaher erscheint es daher, auch bei einer E-Mail nur unter gewissen Umständen eine Zugangsüberprüfung zu fordern, z.B. wenn es bereits zu verschwundenen E-Mails in der Kommunikation gekommen ist. Ob das Erfordernis eine Lesebestätigung anzufordern besteht, sollte also eine Frage des Einzelfalls sein und nicht grundsätzlich verlangt werden.

Auswirkungen für die Praxis

Für die Mandatsbearbeitung durch einen Anwalt bedeutet dies, dass der Rechtsbeistand für die E-Mails, in denen er auf Fristen hinweist, eine Lesebestätigung anfordern sollte. Dies ließe sich in der Praxis wohl noch ohne viel Aufwand einführen.

Was der BGH jedoch nicht klären musste, ist, was der Rechtsbeistand machen muss, wenn die Lesebestätigung vom Empfänger nicht erteilt wird. Die Nicht-Erteilung der Lesebestätigung muss auch keine böse Absicht sein, weil durch Voreinstellungen eine Lesebestätigung immer abgelehnt werden oder das E-Mail-Programm eine solche Lesebestätigung technisch nicht erstellen kann. Denn nach Ansicht des BGH kann der Rechtsbeistand ohne Lesebestätigung nicht sicher sein, dass die E-Mail technisch übermittelt wurde. Hier wäre eine erneute Kontaktaufnahme auf alternativem Kommunikationsweg zu wählen – wie oft und auf welcher Weise wäre im Einzelfall zu klären – und aktenkundig zu machen. Dies bedeutet aber auch, dass für die Prüfung der erteilten oder nicht erteilten Lesebestätigung eine eigene Wiedervorlage/Frist gebucht werden müsste.
Bei genauerer Durchsicht der Begründung des Beschlusses wäre die Glaubhaftmachung für die Wiedereinsetzung aufgrund einer unverschuldeten Verhinderung der Partei eventuell erfolgreich gewesen. Mit einem Screenshot der Sendebestätigung des E-Mailprogramms hätte belegt werden können, dass die E-Mail mit dem Auftrag die Revision einzulegen den Postausgang verlassen hat und das Nicht-Ankommen beim Anwalt dann unverschuldet gewesen wäre (BGH Beschluss vom 18.11.2021, Az. I ZR 125/21, Rdnr. 10, 12). Der BGH legt bei der Partei beim E-Mail-Versand augenscheinlich einen anderen Maßstab an, als beim Anwalt und fordert keine Lesebestätigung. Dies erscheint etwas widersprüchlich, weil es in beiden Fällen letztlich um die (technische) Übermittlung und deren Nachweis geht. Bei zukünftigen Wiedereinsetzungsanträgen sollte dieser Punkt unbedingt berücksichtigt werden.