Das Gesetzespaket (BT-Drs. 19/18110) umfasst haushaltsrechtliche, insolvenzrechtliche und steuerrechtliche Fragen. Es enthält jedoch keine Änderung von § 33 Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG).
Das Betriebsverfassungsgesetz enthält alle wesentlichen Regelungen für den Betriebsrat, seine Wahl, seine Aufgaben, seine Rechte und natürlich seine Sitzungen. § 33 Abs. 1 S. 1 BetrVG regelt, dass die Beschlüsse des Betriebsrats mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder gefasst werden, soweit das BetrVG nichts anderes bestimmt. Die Regelung im Wortlaut:
§ 33 Beschlüsse des Betriebsrats
(1) Die Beschlüsse des Betriebsrats werden, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, mit der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder gefasst. Bei Stimmengleichheit ist ein Antrag abgelehnt.
(2) Der Betriebsrat ist nur beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der Betriebsratsmitglieder an der Beschlussfassung teilnimmt; Stellvertretung durch Ersatzmitglieder ist zulässig.
(3) Nimmt die Jugend- und Auszubildendenvertretung an der Beschlussfassung teil, so werden die Stimmen der Jugend- und Auszubildendenvertreter bei der Feststellung der Stimmenmehrheit mitgezählt.
Betriebsratssitzung als Präsenzveranstaltung
Die Beschlussfassung setzt also eine Betriebsratssitzung voraus - aktuell ein großes Problem. Von der herrschenden juristischen Meinung wird eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren als ebenso unzulässig angesehen (BAG 04.08.1975 AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 4) wie eine schriftliche, eine telegrafische oder eine fernmündliche/telefonische Beschlussfassung. Für möglich wird eine offene (nicht geheime) Abstimmung im Rahmen einer Video-Konferenz angesehen, wenn alle Betriebsratsmitglieder gleichzeitig zugeschaltet sind (Thüsing/Beden, BB 2019, 372). Ob die Rechtsprechung diese extensive Auslegung des Begriffs der „anwesenden“ Mitglieder mitmachen würde - fraglich. In der jüngeren Vergangenheit hatte noch das LAG Hamburg mit Beschluss vom 15.02.2018, Az. 8 Ta BV 5/17 (Vorinstanz war ArbG Hamburg, Beschluss vom 07.06.2017, Az. 13 BV 13/16), eine Online-Betriebsratswahl für anfechtbar erklärt und auf den Gesetzgeber verwiesen. Es führte unter Ziffer II. 1. (Rdnr. 12) Folgendes aus:
Die Zulassung oder Nichtzulassung der Online-Wahl ist eine rechtspolitische Entscheidung, bei der Vor- und Nachteile beider Lösungen gegeneinander abzuwägen sind. Die Zulassung der Online-Wahl ist auch nicht zwingend erforderlich, was allein dadurch belegt wird, dass Betriebsräte in Tausenden von Betrieben auch ohne dieses Mittel wirksam gewählt werden. Über eine evtl. Anpassung der Wahlordnung an geänderte technische Rahmenbedingungen zu entscheiden, ist Aufgabe des Gesetzgebers. Die Gerichte sind nicht befugt, diese Entscheidung an sich zu ziehen.
Aufforderung an den Gesetzgeber
Der Gesetzgeber ist also gefragt. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat nun völlig zu Recht gefordert, dass das Gesetzespaket genutzt wird, eine digitale Beschlussfassung zuzulassen. Der DAV verweist in seiner Stellungnahme Nr.: 18/2020 richtigerweise auf die Regelung in § 41a Gesetz über Europäische Betriebsräte (EBRG) für Seebetriebsräte, der in Absatz 2 regelt, dass unter bestimmten Voraussetzungen die Teilnahme an einer Sitzung mittels neuer Informations- und Kommunikationstechnologien erfolgen kann. Es bleibt nun abzuwarten, ob der Bundestag diese Anregung aufgreift.
Bis dahin bleibt es dabei, dass ein Betriebsrat, ein Gesamtbetriebsrat und auch ein Konzernbetriebsrat ihre Beschlüsse in Sitzungen fassen müssen, an welchen die Mitglieder anwesend sind, also persönlich vor Ort teilnehmen.
Es ist nun am Gesetzgeber, das BetrVG zu ändern und an das digitale Zeitalter anzupassen.
Nachtrag vom 20.05.2020: Neuer § 129 BetrVG
Der Gesetzgeber hat inzwischen reagiert und das Gesetz angepasst. Die entsprechende Norm im Betriebsverfassungsgesetz lautet:
§ 129 Sonderregelungen aus Anlass der COVID-19-Pandemie
(1) Die Teilnahme an Sitzungen des Betriebsrats, Gesamtbetriebsrats, Konzernbetriebsrats, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, der Gesamt-Jugend- und Auszubildendenvertretung und der Konzern-Jugend- und Auszubildendenvertretung sowie die Beschlussfassung können mittels Video- und Telefonkonferenz erfolgen, wenn sichergestellt ist, dass Dritte vom Inhalt der Sitzung keine Kenntnis nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig. § 34 Absatz 1 Satz 3 gilt mit der Maßgabe, dass die Teilnehmer ihre Anwesenheit gegenüber dem Vorsitzenden in Textform bestätigen. Gleiches gilt für die von den in Satz 1 genannten Gremien gebildeten Ausschüsse.
(2) Für die Einigungsstelle und den Wirtschaftsausschuss gilt Absatz 1 Satz 1 und 2 entsprechend.
(3) Versammlungen nach den §§ 42, 53 und 71 können mittels audiovisueller Einrichtungen durchgeführt werden, wenn sichergestellt ist, dass nur teilnahmeberechtigte Personen Kenntnis von dem Inhalt der Versammlung nehmen können. Eine Aufzeichnung ist unzulässig.
Eingefügt ist diese Regelung durch Art. 5 des "Gesetzes zur Förderung der beruflichen Weiterbildung im Strukturwandelund zur Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung" vom 20.05.2020, veröffentlicht in BGBl. 2020, 1044 (Link). Nach Art. 19 Abs. 2 des Gesetzes gilt § 129 BetrVG in dieser neuen Fassung ab dem 01.03.2020 in Kraft und tritt nach Art. 19 Abs. 6 dieses Gesetzes am 01.01.2021 außer Kraft.
Nachtrag vom 09.12.2020: Verlängerung der Geltungsdauer
Rechtzeitig vor dem Jahreswechsel verlängerte der Gesetzgeber die Geltungsdauer der digitalen Betriebsratsversammlungen bis zum 30.06.2021. Dies erfolgte durch Art. 4 des Beschäftigungssicherungsgesetzes (BeschSiG), veröffentlicht in BGBl. 2020, 2691 (Link)
Nachtrag vom 14.04.2021: IT-Ausstattung für Betriebsräte für Videokonferenzen
Die Rechtsprechung stärkt die Rechte der Arbeitnehmervertretung (Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat und Konzernbetriebsrat).Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg verurteilte einen Arbeitgeber, den Betriebsrat so technisch auszustatten, dass die Betriebsratsmitglieder ihre Beratungen und Sitzungen digital abhalten können. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es wörtlich:
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hat einen Arbeitgeber im Wege einer einstweiligen Verfügung verurteilt, dem bestehenden Betriebsrat eine technische Ausstattung zur Verfügung zu stellen, die diesem die Durchführung von Sitzungen und Beratungen in Form einer Videokonferenz ermöglicht. Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, es handle sich um erforderliche Informationstechnik, die der Arbeitgeber nach § 40 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz zur Verfügung stellen müsse.
Link zur Pressemitteilung Nr. 08/21 vom 14.04.2021: https://www.berlin.de/gerichte/arbeitsgericht/presse/pressemitteilungen/2021/pressemitteilung.1074955.php
Die Entscheidung - Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14.04.2021, Az. 15 TaBVGa 401/21 - ist noch nicht veröffentlicht. Den Volltext des Urteils werden wir an dieser stelle zum Download bereitstellen.
Nachtrag vom 01.06.2021: Volltext verfügbar
Der Volltext des Beschlusses des Landesarbeitsgerichtes (ArbG) Berlin-Brandenburg vom 14.04.2021 liegt nun vor und kann unter diesem Link heruntergeladen werden. Hier der Tenor, soweit der Betriebsrat (allerdings erst in der II. Instanz und nur im Hilfsantrag) obsiegte:
[Der Areitgeberin] wird aufgegeben, dem [Betriebsrat] folgende Materialien zur eigenen Verwendung zur Verfügung zu stellen:
- 2 Lizenzen für MS-Teams mind. in Version Office 365 Business Standard, oder einer vergleichbaren Videokonferenzplattform,
- 2 Headsets mit mind. einem Frequenzbereich von 20 bis 17.000 Hertz und USB-Anschluss,
- 2 Webcams mit einer Videoauflösung von mind. 1280 x 720 Pixel und USB-Anschluss,
- 11 Smartphones, welche mind. folgende Anforderungen erfüllen: Internetfähig, mind. 6,5 Zoll Display, Frontkamera mit einer Mindestauflösung von 13 MP, inklusive Zugang zum Internet mit mind. High Speed Zugang, mit einer Datenübertragungsrate im Download von nicht unter 20 Mbit/s und im Upload von nicht unter 8 Mbit/s und einem monatlich verfügbaren Datenvolumen von nicht unter 3 GB.
Die Arbeitgeber sollten sich bei der technischen Ausstattung des Betriebsrates (unnötig bzw. aus strategischen Erwägungen) nicht länger verweigern, sondern zum Wohle des Betriebes mitwirken. Der Appell gilt natürlich in beide Richtungen; auch der Betriebsrat sollte bei seinen Aktivitäten das Wohl des Betriebes nicht aus den Augen verlieren.